Waldbaden im Tegeler Forst

Es ist einer dieser seltenen Oktobertage, an denen die Sonne so golden vom tiefblauen Himmel strahlt, als wollte sie vor Beginn der dunklen Jahreszeit noch einmal alles geben. Jetzt schnell raus. In den Wald. Zuschauen, wie die ersten gelben Blätter von den Kronen segeln, noch einmal Wärme tanken, Licht. Tief in die Lungen atmen – Luft, die schon eine Spur moderig riecht, nach Bucheckern, feuchtem Moos und Pilzen. Waldbaden würden die Japaner sagen.

Als Bewohnerin Europas waldreichster Metropole habe ich die Qual der Wahl, wohin der Ausflug gehen soll. Für viele gestresste Großstädter ist der Grunewald traditionell die erste Wahl. Was manche nicht wissen: Der Tegeler Forst in Reinickendorf steht dem Platzhirsch unter den Berliner Wäldern beinahe in nichts nach. Mit seinen krummen Pfaden, sandigen Hügeln und Erdwällen hat der Tegeler Forst in Sachen Waldromantik vielleicht sogar noch mehr zu bieten als der große Bruder am Wannsee.

Apropos Wasser: Auch davon gibt es im Tegeler Forst – an zwei Flanken begrenzt von Tegeler See und Havel – reichlich. Im Sommer lässt sich der Waldspaziergang ohne Weiteres mit einem Bade- oder Bootsausflug verbinden. Und wer noch einen zusätzlichen Anreiz braucht: Den schönen, naturnah bewirtschafteten Mischwald krönt nicht nur der höchste, sondern auch der älteste Baum Berlins.

Von Alt-Tegel zur Villa Borsig

Wir laufen los von der U-Bahn Alt-Tegel durch die etwas rummelige Altstadt, die fast kleinstädtisch wirkt, wären da nicht die selbstfahrenden Minibusse der BVG, die rein elektrisch ums Karree surren und so gar nicht ins Provinzbild passen. An den Seeterrassen vorbei über die Sechserbrücke, eine markante rote Fußgängerbrücke über das Tegeler Fließ, und weiter auf der Greenwichpromenade, immer am Ufer des Tegeler Sees entlang. Ausflugslokale, Picknickbänke und hölzerner Bootshäuser traditionsreicher Berliner Segelvereine und Ruderclubs wechseln sich ab.

Sechserbrücke

Die Villa Borsig auf der Halbinsel Reiherwerder hatten wir uns herrschaftlich vorgestellt. Das wird sie auch sein, doch wer nicht zufällig über einen höheren Beamtenstatus verfügt, muss auf seine eigene Fantasie vertrauen – oder das Internet bemühen. Denn der repräsentative Bau, gestaltet nach dem Vorbild von Schloss Sanssouci, beherbergt heute die Akademie Auswärtiger Dienst des Auswärtigen Amts. Mannshohe, schmuddelig-weiße Mauern und ein wuchtiges Stahltor schirmen die parkähnliche Anlage vor neugierigen Blicken ab. Bis in die späten 1930er Jahre hinein residierte hier die Berliner Industriellenfamilie Borsig, die mit Dampflokomotiven zu Reichtum gekommen war.

Kurz darauf erreichen wir eine schöne Badestelle, an der ein älteres Paddler-Pärchen angelegt hat und im Sand picknickt. Am Wildgehege biegen wir ab in den hallenartigen Buchenwald, verlassen bald darauf den Hauptweg und wählen einen kaum begangenen Waldpfad. Rechts von uns raschelt es plötzlich im Unterholz ─ eine Rotte Wildschweine, zwei Bachen mit ihren Frischlingen, stürmt an uns vorbei. Wir lassen uns treiben, überqueren eine Straße, spazieren tiefer in den Forst hinein.

Unter den Kronen historischer Bäume

Unsere Entspannung ist so vollkommen, dass wir um ein Haar das verwitterte Holzschild mit dem Hinweis übersehen: „Höchster Baum Berlins“. Eine etwas unscheinbare Lärche, die angeblich stolze 42,5 Meter in den Himmel ragt. Durch die kärgliche Krone fallen warme Sonnenstrahlen bis auf den Waldboden – der perfekte Platz für eine Pause. Das haben sich allerdings auch andere Spaziergänger so gedacht.

Also kehren wir in einer kleinen Biege zurück zum Tegeler See. Kurz bevor wir das Ufer erreichen, statten wir auch der knubbeligen „Dicken Marie“ noch einen Besuch ab. Die beleibte Stieleiche gilt mit ihren geschätzten 900 Jahren als ältester Baum der Stadt und genießt seit einigen Jahren sogar Nationalerbe-Rang.

Tegeler See

Der See glitzert in der späten Nachmittagssonne wie eine Diskokugel, die Bootshäuser werfen lange Schatten, die Ausflugsboote liegen reglos in Reih und Glied am Kai. Es scheint, als hätte sich der Tag für heute verausgabt.

Hin und weg: Mit der U6 bis nach Alt-Tegel.

Strecke: Der beschriebene Rundweg ist etwa 12 km lang, ein gemütlicher Sonntagsspaziergang; wer mehr will, kann den Weg über das Tegeler Fließ fortsetzen. Strecke auf

Google Maps

Bonustipp: Im Sommer kann man am Tegeler See weiterwandern und im Strandbad ausspannen.

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