Kaiserwetter im Herbst – ein Tag am Werbellinsee

Strahlendes T-Shirt-Wetter im Oktober – kann man das genießen? Auf jeden Fall, Klimakrise hin oder her. Und nirgendwo geht das besser als am bezaubernden Werbellinsee.

Unser Ausflug ins Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin beginnt kaiserlich. Nicht nur wegen des Wetters, sondern auch weil sich der denkmalgeschützte Bahnhof Joachimsthal mit dem stolzen Beinamen „Kaiserbahnhof“ schmückt. Was weniger seiner feudalen Architektur, als vielmehr seiner historischen Funktion geschuldet ist, wie wir auf den Tafeln neben den Gleisen lesen. Kaiser Wilhelm II. veranlasste Ende des 19. Jahrhunderts den Bau, damit die illustren Jagdgäste aus der preußischen Hauptstadt hier bequem in die Kutsche umsteigen und ohne Umwege zum nahegelegenen Jagdschloss Hubertusstock gelangen konnten. Heute ist das im Fachwerkstil erbaute Bahnhofsgebäude originalgetreu restauriert und gilt als Geheimtipp unter Heiratswilligen.  

Ansicht Bahnhofsgebäude

Rauf in die Berge

Nur wenige Hundert Meter südwestwärts erreichen wir über einen schmalen Pfad durch den Wald die Spitze des Werbellinsee, nach dem Stechlin der zweittiefste See Brandenburgs. Wir folgen dem Uferweg in Richtung Altenhof, widerstehen der Versuchung, gleich am Rastplatz Jägerberg einen ersten Zwischenstopp einzulegen, und lassen auch den Schiffsanleger links liegen, denn der Ausflugsdampfer hat schon die Saison beendet. Auch der Campingplatz Voigtswiese liegt einsam und verlassen im Schatten der mächtigen Buchen, von denen das Herbstlaub segelt.

Nach etwa zwei Kilometern müssen wir uns entscheiden: Der Uferweg nach Altenhof ist zwar begehbar, aber steil und rutschig. Doch nicht nur deshalb wählen wir den linken Abzweig und machen uns an den sanften Anstieg in die Werbelliner Berge. Gerade im Herbst lohnt sich der Schlenker durch den naturbelassenen Buchenmischwald. Die tiefstehende Sonne blinzelt durch das löchrige Blätterdach und zeichnet lange Schatten auf den Waldboden. Lustvoll waten wir durch das knöcheltiefe Laub und können uns am Rascheln nicht satthören. Die Luft riecht nach Bucheckern, Moos und Pilzen.

Wasser wie Flaschenglas

Bevor wir das ehemalige Pionierlager Wilhelm Pieck, heute eine europäische Jugendbegegnungsstätte, erreichen, kehren wir wieder ans Seeufer zurück. Vom Aussichtspunkt auf dem Hochufer hat man einen einzigartigen Panoramablick, unter uns schimmert das Wasser wie Flaschenglas. Alles könnte perfekt sein, wenn uns nicht vom anderen Seeufer röhrender Motorradlärm daran erinnern würde, dass Kaisers Zeiten längst vergangen sind.

Laub wie Glut

Weiter westlich, wo das Ufer für einen kurzen Moment nach Süden abknickt, flutet die Sonne den Wanderweg mit aller Kraft, bringt das Laub am Boden zum Glühen und spannt über uns einen Schirm aus Licht. Foto-Spot reiht sich an Bank und Badestelle – wer hier nicht ins Bummeln gerät, dem fehlt jeder Sinn für Romantik.

Fisch vom Feinsten

Vom Strandbad Werbellinsee ist es nicht mehr weit bis zum reichlich trubeligen Altenhof, das mit allen touristischen Angeboten lockt, die Ausflügler sich wünschen können. Dass die Alte Fischerei am Ortsausgang zu den Hauptattraktionen zählt, ist ein offenes Geheimnis. An der reetgedeckten Kate gleich neben dem Fontane-Hotel werden seit anno dazumal ausgezeichnete heimische Fischspezialitäten serviert, vorausgesetzt man bringt etwas Stehvermögen mit.

Rapunzels Turm

Vorbei an ein paar Villen in beneidenswerter Seelage führt der Weg weiter am Ufer entlang durch üppigen Mischwald zur Badestelle Süßer Winkel, an die ein weiterer Campingplatz grenzt. Der Askanierturm an der Südspitze des Sees markiert schließlich den würdigen Schlusspunkt unserer Wanderung. Angeblich steht er dort, wo Markgraf Albrecht Anfang des 13. Jahrhunderts die askanische Burg Werbellin errichten ließ. Leicht vorzustellen, dass der schlanke Feldsteinrundling vor Jahren als Drehort für das Märchen Rapunzel diente.

Wer sich hungrig gewandert hat, kann noch einen Abstecher ins nahe gelegene Café Wildau machen, das für seine regionalen Wild- und Fischgerichte bekannt ist. Wir ziehen ein Picknick auf der sanft zum See hin abfallende Badewiese Am Spring der gediegenen Gastronomie vor und lassen die Gedanken zum Abschied noch einmal über den See schweifen.

Hin und weg: Mit der RE3 nach Eberswalde, dort umsteigen in die RB63 bis Joachimsthal Kaiserbahnhof (ca. 1:50 Std.), zurück ab Wildau (Haltestellen Eichhorst/Schleuse oder Wildau, u.a. Bus 917) über Bahnhof Joachimsthal und Eberswalde nach Berlin (Fahrzeit ca. 2:20 Std.)

Strecke: Von Joachimsthal Kaiserbahnhof nach Wildau sind es etwa 16 Kilometer, fast ausschließlich über Waldwege, der Ausstieg ist mit verschiedenen Busverbindungen möglich, aber etwas umständlich (unbedingt vorher Fahrplan prüfen).

Tour auf Google Maps

Varianten: Von Mai bis Mitte Oktober verkehren Ausflugsschiffe zwischen den verschiedenen Anlegern am See, in Joachimsthal, Altenhof, Süßer Winkel und Wildau/Spring (www.werbellinsee-schorfheide.de); auf der nördlichen Seeseite verläuft der Radweg Berlin-Usedom, über den ich hier schon einmal geschrieben habe.

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